Tag 23 (23.06.2022): Von Docksta nach Härnösand

Tageskilometer: 88,52 Km

Tageshöhenmeter: 1.082 Hm

Gesamtkilometer: 1.472,27 Km

Gesamthöhenmeter: 11.098 Hm

Gesamtkilometer Schiff: 47,60 Km

 

Eigentlich war für heute alles klar. Auch wenn er nicht auf den Karten eingezeichnet ist, gibt es einen Fahrradweg von Docksta nach Ullånger, dem nächstgelegenen Ort meiner heutigen Etappe. Aber auch wenn alles klar ist, kann schon mal was schiefgehen.

 

Ich fahre, so wie mir im Hotel gesagt wurde, den steilen Berg zur alten Kirche hoch. Dann passiert mir Fehler Nummero 1: Anstatt oben angekommen links zu fahren, fahre ich rechts, was sich als mehrfach fatal herausstellen sollte.

 

Nach ca. 100 Metern biege ich links auf einen sichtlich frisch gemähten Weg ab und denke, das wird schon der Fahrradweg sein. Wie sich recht schnell herausstellen sollte, Fehler Nummero 2. Ich fahre den Weg weiter und denke: "Wenn das ein Fahrradweg ist, dann sind die hier alle Extrem-Mountainbiker." Der Weg wird immer steiniger und mit Wurzeln durchzogen - eine echte Herausforderung. Dann kommt der erste hölzerne Steg, der noch nass war vom nächtlichen Regen. Ich meine, dass ich einfach so über diesen hölzernen Steg fahren kann. Kaum darauf angekommen, schmiere ich nach rechts ab und lande in einem morastigen Tümpel☻️. Somit habe ich aus Selbstüberschätzung Fehler Nummero 3 produziert. Nach 7 Minuten Fahrzeit war ich schon ganz schön produktiv, was das Fehlermachen angeht💥💤💣.

 

Das Fahrrad liegt auf mir und weil der Anhänger mit seiner Doppeldeichsel fest mit dem Fahrrad verbunden ist, legt er sich solidarisch hinter uns hin. So liegen wir alle drei da. Und weil die anderen beiden sich nicht von alleine rühren, krabble ich unter dem Fahrrad heraus und ziehe die Karre (das gesamte Gespann) im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Dreck💪.

 

Als erstes schaue ich, ob etwas kaputt gegangen ist; natürlich nicht bei mir, sondern beim Gespann. Wie durch ein Wunder ist nichts kaputt, sondern nur etwas dreckig. Jetzt, wäre das Navi eigentlich dran, eine Unfallmeldung an meinen Freund Peter und an meine Frau abzusetzen, tut es aber nicht. Naja, so ein kleiner morgendlicher Badeausflug im Schlammbad ist ja auch eigentlich kein Unfall🤣.

 

Ich schiebe das Gespann mit seinen ca. 65 Kilogramm weiter auf diesem steinigen und wurzeligen Waldweg, der immer steiler und steiler wird. Das Navi meint, es wären noch 2,3 Kilometer bis zur nächsten Abzweigung. Es kommt mir ein junger wandernder Engländer entgegen, der fragt, ob ich da wirklich rauf will. Ich antworte ihm mit einem Ja. Er meint das wäre aber extrem, da so hochzugehen.

 

Jeder geht seines Weges und ich den meinen, der tatsächlich brutal wird, teilweise mit 30 bis 40 Zentimeter hohen Tritten. Aber Aufgeben kommt für mich nicht in Frage. Ich quäle mich weiter, teilweise nur ein paar Schritte, um dann wieder durchzuschnaufen. Das Gespann rutscht teilweise auf dem glitschigen Pfad wieder nach unten, und ich muss es mit aller Kraft festhalten. Irgendwann bin ich dann oben angekommen und treffe auf den Fahrradweg, der von Docksta herführt. Ich hätte das Ganze auch einfacher haben können. Die halbe Kalorienzahl des Frühstücks habe ich also schon nach ca. 5 Kilometern wieder verbraucht.

 

Jetzt schaue ich auch mal nach, ob bei mir irgendwas kaputt ist. Die Bestandsaufnahme ergibt, eine Schürfwunde am rechten Ellbogen, ein leicht verstauchtes Handgelenk, einen kleinen Riss in der schönen neuen Outdoor-Jacke und ziemlich viel Dreck auf der rechten Seite meiner Kleidung.


Schon bald erreiche ich Ullånger und biege auf den Nordingråvägen ab. Ich genieße die Stille und die wunderschöne Landschaft um mich herum. So dahinradelnd denke ich mir: "Eigentlich hast du Glück gehabt. Du bist nur in einen morastigen Tümpel gefallen. Wärst du auf irgendetwas Hartes geknallt, wäre vielleicht am Gespann etwas kaputt gegangen oder du hättest dir womöglich irgendetwas gebrochen." Ich bin froh, um nicht zu sagen glücklich - Glück im Unglück🤩!


Ich radle weiter und überquere irgendwann die berüchtigte Autobahn E4. Ab hier fahre ich auf der Bundesstraße 332 und überquere dann auf zwei Brücken, eine davon die Sandöbron, die mit einem tragischen Schicksal verbunden ist, die Insel Sandö. Von hier aus sehe ich zum ersten Mal in exakt 9,65 Kilometern Entfernung den Grund meiner freiwilligen Umleitung über 15 Kilometer, die Högakustenbron.

 

Über die Högakustenbron führt die berüchtigte E4 und dieser Abschnitt ist tatsächlich offizieller Teil des Euro Velo 10. Dabei weisen riesige Schilder auf beiden Seiten der riesigen Brücke darauf hin, dass das Überqueren mit dem Fahrrad strengstens verboten ist. Im Internet findet man aber Berichte von Leuten, die das als Mutprobe, einmaliges Erlebnis etc. ansehen, darüber zu fahren. Selbst die großen 40-Tonner sehen von unterhalb der Brücke aus wie Spielzeugautos. Die Fahrbahn verläuft 40 Meter über dem Wasserspiegel und auf der Brücke herrscht zum Teil orkanartiger Wind.

 

Ich kann nur den Kopf schütteln, dass auch diese Brücke, obwohl gesetzlich für Fahrradfahrer verboten, als offizieller EuroVelo ausgewiesen wird😡.

 

Ich habe ja heute auch ein paar Fehler gemacht, aber wie ich schon geschrieben habe, wenn es lebensgefährlich wird, dann lasse ich das bleiben. Damit bin ich eigentlich heute wieder ganz zufrieden. Ich habe Fehler gemacht und hoffentlich daraus gelernt, aber das vermeidbare Mega-Risiko umgangen.

Trotz aller Widrigkeiten und Umleitung komme ich um 12:30 Uhr in Härnösand im First Hotel Stadt an. Das Hotel liegt wunderbar am Hafen. Härnösand ist durch den Hafen und einen Kanal in zwei Teile geteilt. Ein Teil liegt auf dem Festland, der andere auf einer Insel in der Ostsee.

 

Zwei sehr freundliche Damen empfangen mich an der Rezeption. Mein Gespann darf ich in einer der Garagen des Hotels über Nacht abstellen. Ich beeile mich mit dem Duschen, denn im hoteleigenen Restaurant gibt's bis 14:00 Uhr Lunch-Buffet. Das Buffet bietet alles, was das Herz begehrt; diverse Fischsorten gebeizt, geräuchert, gedünstet, Salate, Onionrings, zart rosa gedünstetes Schweinefilet in Pfefferrahmsoße, junge Kartoffeln und  Linsengemüse. Und als Zugabe gibt es noch einen freundlichen und lachenden Koch, der München kennt, Wiskeyliebhaber ist und sich sehr freut, als ich sein Essen als delicious bezeichne.

Nachdem mir gestern mein Kettenspray ausgegangen ist und ich heute bei meinem Moorbad eine meiner Trinkflaschen verloren habe, mache ich mich nach dem Essen auf in das nächste Sportgeschäft.

 

Nach kurzer Beratung habe ich das passende Kettenöl in der Hand und nehme noch eine Trinkflasche dazu. Nachdem die Eigenmarke für mich die beste ist, nehme ich diese. Das XXL-Format kann ja nicht schaden. Der Sommer kommt bestimmt, wenn ich weiter in Richtung Süden unterwegs bin.

 

Somit bin ich fast wieder komplett. Bei nächster Gelegenheit muss ich mir noch ein neues Rücklicht für den Anhänger besorgen. Das hat vor einigen Tagen die Fahr über die holprigen Feldwege nicht vertragen und ist abgesprungen.

Noch ein Wort zum Alkohol in Schweden. In Supermärkten gibt es generell nur Alkohol bis 3,5% vol.. Wer hochprozentigere alkoholische Getränke kaufen möchte, muss in ein sogenanntes staatliches Systembolaget gehen, dass das Monopol auf alle alkoholischen Getränke über 3,5% vol. hat. Dort gibt es von Wein, Sekt und Spirituosen in sehr großer Auswahl und in allen Qualitätsklassen.

 

Sehr große Auswahl heißt, dass neben schwedischen auch ausländische Produkte vorhanden sind, wie z. B. Weine aus Italien und Frankreich oder Biere aus Deutschland, England und Belgien.

 

Ich war bisher zweimal in einem Systembolaget, um mich umzusehen und mir ein (na gut, zwei🍺🍺) Feierabendbier zu kaufen. Mein Eindruck ist, dass dort in rauen Mengen Alkohol eingekauft und somit auch konsumiert wird, was man eigentlich mit diesen Geschäften vermeiden will.

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Kommentare: 3
  • #1

    Kati & Tobi (Donnerstag, 23 Juni 2022 20:56)

    Hi

    Wie es scheint hast du sogar Zeit für Wellness in Form einer Mooranwendung! ;-)
    Dabei sollte man sich aber eigentlich nicht mit einem Fahrrad samt Anhänger “belasten” sondern entspannen!!! ;-)

    Wie du schreibst ist super! Man kann sich so gut in deine Situation hineinversetzen!

    Mach weiter so, nicht ärgern - nur wundern!

    Ganz liebe Grüße,
    Kati, Tobi, Yoshi & Momo.

  • #2

    Michael (Donnerstag, 23 Juni 2022 21:10)

    Unter https://polarkreisportal.de/radfahren-in-nordschweden-zwischen-einsamkeit-und-e4 hat jemand einen Bericht "Radfahren in Nordschweden: Zwischen Einsamkeit und E4" veröffentlicht. Dort steht geschrieben: "... Mir wurde gesagt, es sei erlaubt, auf der E4 Rad zu fahren. Mit einem schwer bepackten Rad auf einer Strecke, wo es nicht mal einen Seitenstreifen gibt und Autos 110 fahren dürfen? Ich bin doch nicht lebensmüde. ..." Wolfi, deine Erfahrungen haben auch andere gemacht.
    Die Bilder sind trotzdem betörend schön. Die E4 ist eingebettet in sehr schöne Landschaft. Du musstest in den letzten Tagen viele "Klippen" überwinden. Hoffentlich wird es jetzt angenehmer...

  • #3

    Wolfi (Donnerstag, 23 Juni 2022 21:39)

    Hallo ihr Lieben,
    zuerstmal vielen Dank an euch für eure schönen Kommentare. Obwohl ich weit weg von daheim bin, fühle ich mich nicht so, denn ihr seid irgendwie alle bei mir.
    Die Tour ist für mich spannend und herausfordernd, aber sie erfüllt mich mit viel Freude und Glück.
    Und eines ist eh klar: "Gib niemals auf!"
    Ich danke euch!
    Herzlichen Grüße