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Das große Fazit

Ich könnte es mir ja mit dem Fazit zu meiner Tour de Chirurgie ganz einfach machen, in dem ich als wichtigste Erfahrungen festhalte, dass man ein Waffeleisen daheim haben sollte und ein Buch, wie man leckere Tapas und Pinchos zubereitet. Die Frage, wie ich so eine enorme Distanz mit dem Fahrrad zurücklegen konnte, habe ich auch schon öfters mit 

"Einfach treten!" beantwortet. Aber so einfach mache ich es mir natürlich nicht.

 

Die unbestechlichen Zahlen zu meiner Tour de Chirurgie habe ich ja schon im Blogbeitrag Statistik und Erfahrungen zusammengefasst. Neben diesen sicherlich interessanten Daten ist es mir aber auch wichtig, meine persönlichen Eindrücke wiederzugeben.

 

Das Allerwichtigste ist, dass ich wieder gesund und wohlbehalten daheim angekommen bin. Ich war insgesamt 107 Tage vom Nordkap bis Tarifa unterwegs, und ich möchte keinen einzigen dieser Tage missen. Ich kann mit großer Dankbarkeit feststellen, dass jeder Tag ein wunderbares Geschenk war, den ich mit bester Laune genossen habe.

 

Fahrrad und Anhänger

 

Das Fahrrad hat bis auf die beiden Defekte an der Sattelstütze hervorragend funktioniert. Es gab keinen einzigen Ausfall.

 

Anfänglich war der Service von Riese & Müller sehr träge, was sich aber schnell geändert hat. So hat die Koordination zum Wechseln des RX-Chips perfekt funktioniert. Hierfür sage ich Danke bei Herrn Edelmann und Herrn Herbst.

 

Die beiden Fahrradhändler Bike & Co in Helsingør und extratour in Freiburg im Breisgau haben perfekt gearbeitet. Bei Bike & Co habe ich als besonderen Service ein Leihrad bekommen. extratour hat aus einem funkelnagelneuen Fahrrad Kassette und Kette ausgebaut, damit ich weiterfahren konnte. Auch hierfür sage ich herzlichen Dank.

 

Der Anhänger war ein treuer Begleiter, der einfach nur anstandslos funktioniert hat. Bergauf, bergab, auf Straßen, Feld- und Waldwegen und auf Trails lief er brav hinter dem Fahrrad her. Das einzige Manko war, dass nach 25 Tagen an der Packtasche beide Träger hinten ausgerissen waren. Bei Binninger in Freiburg im Breisgau hat Nati die Tasche wunderbar repariert. Zudem hat Nati beim Hersteller reklamiert, und somit bekomme ich eine neue Packtasche. Vielen Dank für diesen tollen Service.

 

Fast nicht zu glauben ist, dass ich keinen einzigen Platten auf der gesamten Tour hatte.

 

Also für das Fahrrad und den Anhänger gibt es 9 von 10 Punkten.

 

Verkehr und Infrastruktur

 

Die Verkehrssituation war von Region zu Region sehr unterschiedlich. So bin ich durch Landstriche gefahren, die sehr dünn besiedelt waren. Das war vor allem in Skandinavien und Spanien der Fall. Manchmal habe ich stundenlang keine Häuser oder gar Ortschaften gesehen oder es ist mir eine Stunde oder noch länger kein Auto begegnet. Ich bin auf endlos langen und geraden Straßen gefahren. Manchmal sah ich nur riesige Wälder am Straßenrand, die den Blick einschränkten, manchmal begleiteten mich hügelige oder bergige Landschaften, in denen ich bis zum Horizont blicken und die für einen Menschen schier unendliche Größe des Landes erfahren konnte.

 

Ich habe mich auf den Straßen sehr sicher gefühlt, auf den Fahrradwegen sowieso. Die beiden Fahrten auf den Autobahnen in Schweden und Spanien, die tatsächlich als offizielle Fahrradwege ausgeschildert sind, habe ich als sehr kritisch und unangenehm erfahren. Wo es ging, habe ich diese vermieden und lieber einen Umweg in Kauf genommen. Generell habe ich auf meiner gesamten Tour wahrgenommen, dass es sehr viele gute Radwege gibt. In allen Städten, durch die ich gefahren bin, gab es Radwege. Frankreich bezaubert durch seine tollen Fahrradwege entlang der Flüsse mit ihren unzähligen Schleusen.

 

In den ländlichen Regionen, durch die ich gefahren bin, war es schon alleine auf Grund des geringen Verkehrs ein Vergnügen zu radeln. In Städten - ich würde mal sagen ab 100.000 Einwohnern - war dichter Verkehr, und ich konnte das auch für München typische Verhalten von Fußgängern und Fahrradfahrern beobachten, dass das Rotlicht an Ampeln fast ausnahmslos missachtet wird und es die morgendliche und abendliche Hast in die Arbeit und nachhause gibt.

 

Eine Besonderheit gibt es noch in Gibraltar. Obwohl Gibraltar ja very british ist, gibt es dort Rechtsverkehr. Man hat sich der Einfachheit halber dem großen Nachbarn Spanien angepasst.

 

Bezüglich der Autofahrer kann ich für meine gesamte Tour sagen, dass diese fast ausnahmslos sehr rücksichtsvoll waren. Ich kann die Situationen, in denen ich mich über einen Autofahrer geärgert habe, an den Fingern einer Hand abzählen. Das waren Situationen, in denen zu nah an mir vorbeigefahren oder mir die Vorfahrt genommen wurde. Wie gesagt, über so eine lange Distanz, wie ich sie gefahren bin, habe ich insgesamt gute Erfahrungen mit dem Autoverkehr gemacht.

 

Auch konnte ich feststellen, dass in keinem anderen Land das Auto dermaßen als Statussymbol gilt wie in Deutschland. Die bei uns - und damit meine ich speziell München - vorherrschende Dichte an PS-Boliden habe ich in keinem anderen Land so gesehen.

 

Insgesamt fällt mein Fazit bezüglich des Verkehrs damit überraschend positiv aus.

 

Auch recht positiv fällt meine Bilanz im Hinblick auf das Angebot an WLAN in den Unterkünften und dem Mobilfunk- und Datennetz aus. In Skandinavien gab es in der kleinsten Hütte auf dem Campingplatz sehr gutes WLAN und in den entlegensten Gegenden hervorragende Mobilfunk- und Datennetze. In Deutschland hatte ich in Aschersleben und in Neustadt am Rennsteig eher einen problematischen Empfang. Frankreich und Spanien waren bis auf wenige Ausnahmen auch in Ordnung. Den einzigen Totalausfall hatte ich bei der Durchfahrt durch den Parque National los Alcornocales. Da war mal für 11/2 Stunden absolute Funkstille.

 

Erwähnenswert ist auf alle Fälle noch die Tatsache, dass das Bezahlen mit Debit- oder Kreditkarte fast überall möglich war. Bargeld habe ich lediglich in den sehr ländlichen Regionen Frankreichs und Spaniens benötigt.

 

Essen und Trinken

 

Was das Essen und Trinken angeht, habe ich ganz unterschiedliche Erfahrungen von überirdisch bis unterirdisch gemacht. Generell musste ich leider feststellen, dass sich quer durch Europa eine Fast Food-Kultur im negativen Sinne breitgemacht hat. Überall gibt es Buden, in denen es ungesundes frittiertes Essen gibt. Eine Wirtshauskultur, wie wir sie in Deutschland und Österreich kennen, gibt es in den übrigen Ländern nicht. Gibraltar bildet hier eine Ausnahme, auf die ich später noch komme. Also, wir tun gut daran, unsere Wirtshauskultur zu erhalten!

 

In der Arktischen Region musste ich öfters auf meine Nahrungsvorräte Studentenfutter und Outdoornahrung zurückgreifen. Es gab schlichtweg kein Frühstück auf den Campingplätzen oder kein Restaurant zum Abendessen. Wenn ich Glück hatte, gab es einen gut ausgestatteten Supermarkt, in dem ich mich dann mit allerlei energiereicher Nahrung eingedeckt habe. Gute Lokale waren eher selten. Wie im gesamten Skandinavien gibt es sehr viele einfach ausgestattete Restaurants, in denen es Pizza, Burger, Döner und Salat gibt. Mit der Zeit ist mir diese Art der Ernährung immer widerlicher vorgekommen. Kulinarische Höhepunkte waren Rentierburger und Fisch jeglicher Art. Bei meinen Übernachtungen in privaten Pensionen oder in Hotels gab es meistens ein reichhaltiges Frühstück. Manchmal bereiteten mir die sehr gastfreundlichen Vermieter in den privaten Unterkünften Sandwiches zu, wenn es keine Essensmöglichkeit gab.

 

In ganz Skandinavien sind auch alkoholische Getränke weit verbreitet. In Schweden gibt es jedoch die Besonderheit, dass in Supermärkten nur alkoholische Getränke bis 3,5% vol. verkauft werden dürfen. Alle stärkeren alkoholischen Getränke gibt es in den unter staatlichem Monopol stehenden Systembolagets. Die Auswahl an Bier, Wein und Spirituosen ist enorm vielfältig.

 

Auf meinen Weg durch Deutschland und bei meinem Abstecher nach Österreich habe ich fast ausnahmslos gut bis sehr gut gegessen. Den größten negativen Ausreißer hatte ich abends an Tag 46 in Havelberg.

 

In Frankreich und Spanien gibt es ein paar entscheidende Unterschiede zu allen anderen Ländern, die für mich, der immer auf ausreichend Essen angewiesen war, wichtig waren. In beiden Ländern gibt es nur ein kleines Frühstück, bestehend aus Kaffee und Croissants, maximal etwas Marmelade. Nur in Hotels gab es ein ausgedehnteres Frühstücksbuffet, das aber bei weitem nicht mit der Vielfalt in Skandinavien, Deutschland und Österreich mithalten konnte. Mittagessen gibt es in beiden Ländern von 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr. Dann sind die Lokale wieder zu. Die Tische für das Abendessen werden in der Regel nicht vor 20:00 Uhr eingedeckt.

 

In Frankreich, dem Land mit dieser hochgelobten Küche, habe ich meine größten Enttäuschungen erlebt. Einerseits ist auch in Frankreich an allen Ecken und Enden die Fast Food-Kultur präsent, andererseits war das Essen in den Brasserien sowohl von der Auswahl als auch von der Qualität bis auf wenige Ausnahmen schlecht. Durchgebratene Steaks, obwohl medium bestellt, lappige Pommes Frites und welker Salat waren keine Seltenheit. Ich habe nur sporadisch ein Essen bekommen, das einfallsreich und mit Leidenschaft zubereitet war. Das beste Essen gab es an Tag 76 in Lac de Graves und jeweils an Tag 77 und Tag 78 in Capdenac le Haut.

 

Für Spanien fällt mein Urteil gemischt aus. In den einsamen ländlichen Gegenden war es eher schwierig, gut zu essen. Eine gute Ausweichmöglichkeit war ab und zu eine Platte Iberico mit ausgewählten Wurst- und Schinkenspezialitäten vom Iberico-Schwein und Brot dazu. Mit das tollste Essenserlebnis hatte ich an Tag 89 in Burgos als ich zweimal in die Tapas-Bar Casa Pancho ging. Alleine dafür würde ich nochmal nach Burgos fahren.

 

Meine Beobachtung in Frankreich und Spanien war, dass eher mehr Bier als Wein getrunken wird. Lediglich in den traditionellen Tapas-Bars und Lokalen wurde mehr Wein getrunken.

 

Gibraltar ist zum Essen und Trinken ein Paradies. Die Bandbreite beim Essen reicht von Fish and Chips, über Steaks, Fisch, vegetarisch, italienisch, asiatisch bis mexikanisch und das alles in bester Qualität. Bezüglich der Getränke bleiben in Gibraltar auch keine Wünsche offen. Es gibt einfach alles, was man sich nur vorstellen kann. Die wunderbare Atmosphäre in Gibraltar tut ihr Übriges dazu, dass jedes Essen ein Hochgenuss ist.

 

Nachdem ich ja ausgebildeter International Beersommelier und Authorized Beerjudge bin, verliere ich an dieser Stelle noch gerne ein paar Sätze zu Bier und Wein. Allgemein wird Wein wohl immer noch als das Getränk gesehen, dass gegenüber Bier das feinere ist und somit auch zu feinem Essen passt. Diese Einschätzung ist genauso weit verbreitet wie falsch. Obwohl es völlig unerheblich ist, wird die Anzahl von Biersorten weltweit auf 10.000 bis 15.000 geschätzt, beim Wein gibt es circa 2.500 verschiedene Rebsorten, die aber nicht alle für die Weinproduktion verwendet werden. Es ist keine Frage, dass es sehr edle und gute Weine gibt. Dies ist aber auch beim Bier der Fall. Zutaten von hervorragender Qualität, ausgetüftelte Methoden zum Brauen, Vergären und Lagern von Bieren lassen außergewöhnlich gute Produkte entstehen. Die Schar an Bierkennern und -liebhabern wird immer größer. Wie beim Wein gibt es auch beim Bier nationale und internationale Wettbewerbe, auf denen Bier bewertet und prämiert wird. Auch beim Thema Food-Pairing, also welches Bier zu welchem Essen, gibt es umfangreiche Literatur, Empfehlungen und Veranstaltungen. Auf meiner langen Reise konnte ich feststellen, dass Bier ein beliebtes Getränk ist. Auch in den klassischen Weinländern Frankreich und Spanien konnte ich beobachten, dass nicht nur Bier getrunken wird, sondern auch regionale Brauereien alle möglichen Sorten herstellen. Und um die Bier- und die Weinliebhaber näher zusammenzubringen, sei an dieser Stelle abschließend noch gesagt, dass es auch Annäherungen zwischen Bier und Wein gibt. So werden Biere teilweise mit Weinhefe hergestellt oder es werden auch Mischgetränke aus beiden, sogenannte Cuvées, hergestellt.

 

Positiv ist auf alle Fälle, dass ich mir trotz aller kulinarischen Herausforderungen kein einziges Mal den Magen verrenkt habe oder gar krank geworden bin.

 

Unterkünfte

 

Während meiner Tour habe ich in unterschiedlichsten Unterkünften übernachtet. Von der 8m2 kleinen Hütte auf dem Campingplatz über private Pensionen bis zum 5 Sterne-Luxushotel war alles dabei. Qualitativ war auch alles dabei von Note 1 bis 10.

 

In Skandinavien habe ich oftmals auf dem Campingplatz in einer Hütte übernachtet. Die Hütten waren immer mindestens mit Strom, Heizung und einer Kochplatte ausgestattet. Die stets sauberen Sanitärbereiche waren in der Nähe der Hütten. Nachteil dieser Art der Übernachtung war das fehlende Frühstück.

 

Auf meiner gesamten Tour habe ich auch oft in privaten Pensionen übernachtet. Dort gab es immer ein landestypisches Frühstück, manchmal ein paar Sandwiches am Abend und oftmals interessante Gespräche mit den Vermietern. Besonders in Skandinavien war das ein wahres Vergnügen, weil die Menschen alle sehr gut Englisch sprechen. In Frankreich und Spanien war dies leider die Ausnahme.

 

Die guten bis sehr guten Hotels waren nicht immer die beste Wahl. In Frankreich und Spanien ließ teilweise die Sauberkeit deutlich zu wünschen übrig. Lange schwarze Haare im Bad oder Glassplitter auf dem Boden haben ab und zu Anlass zur Beschwerde gegeben.

 

Sowohl in den privaten Unterkünften, als auch in den meisten Hotels könnte die Nachhaltigkeit noch wesentlich verbessert werden. Allzu oft waren beim Frühstück Butter, Marmelade oder gar Gebäckstücke in Einzelverpackungen. Auch Duschgel oder Seifen waren oftmals einzeln verpackt, anstatt in einem großen Spender. Rühmliche Ausnahmen bei den Hotels sind die Motel One und teilweise die Best Western Hotels, die privaten Unterkünfte in der arktischen Region und die Pension Dallmayr in Berching sowie die Unterkunft in Lac de Graves.

 

Stadt, Land, Fluss, vieles mehr und Umweltschutz

 

Durch 9 Länder und entlang an diversen Meeren, der Barentssee, dem Atlantik mit seinen Nebenmeeren Europäisches Nordmeer, Ostsee, Biskaya und Mittelmeer bin ich geradelt. Da kann sich jeder vorstellen, dass ich große Unterschiede bezüglich der Landschaften erfahren habe.

 

Wie auf den Bildern in den täglichen Reiseblogeinträgen unschwer zu sehen ist, bin ich die meiste Zeit durch wunderschöne und beeindruckende Landschaften gefahren. Aber es waren auch mehr oder weniger große und vor allem sehr unterschiedliche Städte dabei.

 

Die Arktische Region bestach durch ihre hügeligen und bergigen, teils mit Eis und Schnee bedeckten kargen Landschaften. Nicht selten ging es steil bergauf und bergab, oftmals waren die Straßen mehrere Kilometer schnurgerade. Der Wasserreichtum im hohen Norden scheint schier unendlich zu sein. Ich bin manchmal den ganzen Tag an riesigen Seen vorbeigefahren, die sich manchmal zu Flüssen verengt haben, um dann in wilden und ungestümen Wasserfällen in den nächsten See oder Fluss zu stürzen. Nachdem es in der arktischen Region nur wenige Straßen gibt, führt für den Straßenverkehr auch kein anderer Weg über diese Gewässer. Im norwegischen Teil der Arktis, den ich durchfahren habe, gab es keine Bäume. Lediglich drei bis maximal 4 Meter hohe verkrüppelte Bäume, die eher wie Sträucher aussahen, waren zu sehen. Ab der finnischen Grenze, die ich an Tag 7 - Von Guovdageaidnu nach Hetta überquerte, wurden aus den Sträuchern Bäume und aus den Bäumen unendliche Wälder. Manchmal waren es Birkenwälder, dann wieder Nadelwälder oder auch Mischwald. In jedem Fall war der Anblick dieser Landschaften immer wunderbar für die Augen und somit auch für meine Seele. Zusätzlich war es natürlich etwas Besonderes, dass ich immer wieder auf Rentiere getroffen bin. Teilweise ästen sie auf den kargen mit Flechten und dünnen Gräsern bewachsenen Weiden, dann lagen sie wieder in Gruppen zusammen oder begegneten mir locker dahintrabend auf den Straßen.

 

Spätestens ab Tag 10 - Von Hetta nach Äkäslompolo wurden die Landschaften lieblicher. Es kamen langsam bunte Blumenwiesen dazu. Ab Tag 13 - Von Överkalix nach Boden sah ich zum ersten Mal einen Traktor, mit dem ein Feld gepflügt wurde. Ab da fuhr ich durch Landschaften auf denen unendliche Getreidefelder die Landschaft prägten. Bauernhöfe waren jeweils Kilometer voneinander entfernt zu sehen. Die Tierwelt wechselte von Rentieren zu Kühen und Pferden. Die Landschaft bezauberte durch Wasser, Wälder und Wiesen in den unterschiedlichsten Blau- und Grüntönen, ergänzt durch jede Menge bunte Blumen.

 

An Tag 14 - Von Boden nach Bergsviken bin ich zum ersten Mal auf meiner Tour durch eine Stadt gefahren, Luleå am Bottnischen Meerbusen. Das Schöne an diesen Städten ist, dass der Verkehr übersichtlich und ruhig verläuft. Das irre Gehupe, wie es zum Beispiel in München überall zu hören ist, gibt es nicht. Für mich machten die Städte in Skandinavien den Eindruck, als wäre die Welt hier noch einigermaßen in Ordnung; relativ wenig Menschen, wenig Verkehr, schöne Fahrradwege und großzügig angelegte Stadtparks.

 

Eine Besonderheit auf meiner Tour war der Besuch in Vimmerby, wo ich an Tag 33 - Von Linköping nach Vimmerby eintraf. Vimmerby ist trotz des großen Andrangs auf die Astrid Lindgren-Orte Näs, Museum und Värld ein beschauliches Städtchen mit schönen Geschäften und historischen Orten geblieben.

 

Erst als ich Schweden an Tag 40 - Von Åsljunga nach Helsingør in Richtung Dänemark verließ, verschwanden schlagartig die großen Binnengewässer, die mich bis dahin begleitet hatten. Das Land blieb dennoch reizvoll mit hügeligen Landschaften, die von weiten landwirtschaftlichen Flächen und etwas Wald überzogen waren.

 

Auf meiner Tour de Chirurgie bin ich auch lange Zeit an der Ostsee entlang geradelt. Es begann an Tag 14 - Von Boden nach Bergsviken, als ich Luleå erreichte und endete an Tag 45 - Von Rostock nach Lübz, als ich Rostock hinter mir ließ. Es blies immer ein ordentlicher Wind, der im Norden durchaus noch ordentlich frisch war. Das Beste war die salzige Meeresluft, die die Nase so richtig frei gemacht hat und auch noch gut roch.

 

In Deutschland habe ich im Osten große Windparks gesehen, die ich über mehrere Etappen bestaunen konnte. Enorm große landwirtschaftliche Anbauflächen wechselten sich mit Wäldern ab. Imposant waren die künstlich angelegten Wasserstraßen wie beispielsweise der Oder-Havel-Kanal oder der Main-Donau-Kanal. Nicht schön waren die leider teilweise verlassenen und verfallenen Ortschaften im Osten. Spätestens jetzt machte sich in der Nacht wieder der Sonnenuntergang bemerkbar, den es ja so lange Zeit auf meiner Tour nicht gab. Sehr reizvoll waren die Fahrten über unsere Mittelgebirge. Oben angekommen hatte ich oftmals einen unendlichen Blick in die Ferne. Unsere Mittelgebirge wie der Naturpark Haßberge, der Naturpark Fränkische Schweiz - Frankenjura oder auch der Schwarzwald sind wunderbare Gegenden zum Wandern, Fahrradfahren und alle möglichen anderen Freizeitaktivitäten. Deutschlands Landschaften waren sehr abwechslungsreich und sehr schön, auch wenn es das Land mit der mit Abstand größten Bevölkerungsdichte auf meiner Tour war. In den Städten wie Rostock, Erfurt und Nürnberg ging es durchaus hektischer zu als in den Städten Skandinaviens, Frankreichs und Spaniens.

 

Natürlich muss ich ein paar Worte über die Hallertau, das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt verlieren. Die Hallertau ist für mich Heimat. Jedes Mal, wenn ich durch ihre hügeligen Landschaften fahre, die durch die Hopfengärten geprägt sind, geht mir das Herz auf. Ich fuhr einen Monat vor dem Beginn der Hopfenernte durch die Hallertau. Wer sich das Jahr rund um den Hopfen mal genauer anschauen und erklären lassen möchte, sollte sich bei Kathrin auf dem Hallertauer Hopfenhof zu einer Führung mit Verkostung anmelden.

 

Nach Österreich, genauer gesagt nach Vorarlberg habe ich ja ohne Fahrrad einen Abstecher gemacht. Der Bregenzerwald ist eine wunderschöne Kulturlandschaft mit ausgeprägter Landwirtschaft sowie jeder Menge Sport- und Kulturmöglichkeiten. Die Bregenzer Festspiele sind immer wieder ein beeindruckendes Schauspiel im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Besuch dieser Region ist auf alle Fälle empfehlenswert.

 

Mein Weg durch Frankreich war, was die Landschaften anging, sehr abwechslungsreich, jedoch war eine Sache besonders prägend für mich. Es waren die Flüsse und Kanäle mit ihren unzähligen kleinen Schleusen. Es verging fast kein Tag, an dem ich nicht an diesen wunderbaren ruhigen Gewässern dahinradeln durfte. Der Fluss Lot ist mir regelrecht ans Herz gewachsen. Darüber hinaus bin ich durch große dünn besiedelte Regionen mit viel Landwirtschaft und Wald gefahren. Immer wieder führte mich mein Weg über Gebirgszüge wie das Zentralmassiv. Sehr reizvoll in Frankreich ist, dass die Orte und auch Städte oftmals alt sind. Häuser aus Natursteinen und kleine gepflasterte Gassen sind einfach schön anzusehen. Zum Abschluss besuchte ich ja das in die Jahre gekommene, aber immer noch mondän wirkende Biarritz am Atlantik, ein Seebad für alle die, Sandstrand, Wassersport und gute Restaurants schätzen.

 

Spanien empfing mich im Baskenland mit hohen, teils felsigen, teils grünen Bergen. Wie Spanien insgesamt ist diese Region dünn besiedelt. Auf meinem weiten Weg durch Spanien bin ich über große Gebirgszüge wie die Sistema Iberico, Sistema Central, die Sierra Morena und Ausläufer der Sistema Penibético gefahren. Diese Gebirgszüge sind jedoch nicht nur Gebirgszüge, sondern auch Hochebenen. Während die Gebirge meistens grün und bewaldet sind, erscheinen die Hochebenen durch die ausgedehnten Getreidefelder und die zum großen Teil sehr trockenen Böden regelrecht in einem goldenen, unwirklich erscheinenden Licht. Die Zucht von Iberico-Schweinen und Rindern, teilweise den Kampfstieren der Rasse Iberisches Kampfrind ist weit verbreitet. Erschreckend war die Trockenheit des Landes. So hat das Navi öfters in Blau Seen oder Flüsse angezeigt, die aber völlig ausgetrocknet und somit nicht vorhanden waren. Ein besonders beeindruckendes Gebiet ist der Parque des los Alcorncales mit seinen riesigen Korkeichenwäldern. Die Städte Spaniens, durch die ich gefahren bin oder in denen ich einen Stopp eingelegt habe, beeindrucken alle durch ihre historischen Innenstädte mit teilweise großen Kathedralen wie beispielsweise Burgos, Salamanca und Sevilla oder durch römische Ausgrabungen wie in Mérida. Enge Gassen, großzügige Auto-freie Zonen und Restaurants und Geschäfte machen Lust zum Verweilen in diesen Städten.

 

Was soll ich zu Gibraltar anderes sagen als "Das ist ein außergewöhnlicher Ort!". Der alles beherrschende Felsen mit seinem großen Naturreservat, die gesamte Halbinsel umgeben vom Meer und dann noch diese quirlige Stadt mit allem was das Herz begehrt, haben mir unglaublich gut gefallen. Das ist ein Sehnsuchtsort, wo ich gerne wieder mal hinmöchte.

 

Bei so vielen positiven Eindrücken bezüglich der Landschaften bleibt noch, das Thema Umweltschutz genauer zu betrachten.

 

In der dünn besiedelten Arktischen Region schauen die Menschen sehr auf ihre Natur. Sie leben in ihr. Dennoch nutzen sie natürlich auch Autos, Schneemobile und Boote oder nehmen die Annehmlichkeiten eines Supermarktes mit all seinen Vor- und Nachteilen in Anspruch. Selten habe ich Müll wie Plastik oder Autoreifen am Straßenrand gesehen. In ganz Skandinavien, Deutschland und Österreich gibt es Wertstoffhöfe, auf denen Müll getrennt wird. Generell hat Skandinavien natürlich auf Grund seiner dünnen Besiedelung einen Vorteil im Hinblick auf den Umweltschutz. Wo weniger Menschen wohnen, fallen auch weniger Immissionen an. In Mittelschweden und Dänemark bin ich an großen Industriewerken der Holz verarbeitenden und chemischen Industrie vorbeigefahren.

 

Die Umweltsituation in Deutschland ist sehr zwiespältig. Auf der einen Seite haben wir große Industrien mit hohen Ressourcen- und Energieverbrauch, auf der anderen Seite ist Deutschland Recycling-Weltmeister. Das größte Problem im Gegensatz zu allen anderen Ländern, in denen ich war, ist die hohe Bevölkerungsdichte in Deutschland. Der Land- und Wasserverbrauch sind weiterhin extrem hoch. Wenn dies nicht gestoppt wird, läuft Deutschland in extreme Probleme. Teilweise bekommen wir diese durch das Wegschmelzen der Gletscher und damit einhergehende Felsstürze, und den trockenen Sommern, um nur zwei Beispiele zu nennen, ja schon sehr deutlich zu spüren.

 

In Österreich scheint die Welt hinsichtlich des Umweltschutzes noch in Ordnung zu sein. Eine Gefahr sehe ich beim extremen Tourismus, der der Natur auch seinen Tribut abfordert.

 

In Frankreich und Spanien sieht die Situation bezüglich Umweltschutzes leider nicht gut aus. Hier fehlt es den Menschen meiner Meinung nach oftmals schon am grundsätzlichen Verständnis für die Wichtigkeit des Umweltschutzes. Das beginnt bei so einfachen Dingen wie Hundekot auf den Gehwegen auch vor guten Hotels, um den sich niemand kümmert. Die Motoren der Autos laufen, während man aussteigt und sich unterhält oder einkaufen geht. Bei Autos ist es so, dass diese oft 10 bis 15 Jahre alt sind, weil man sich schlichtweg kein neues leisten kann. Mancherorts lag alles Mögliche in den Straßengräben entlang der Landstraßen.

 

Die Menschen, mit denen ich mich auf meiner Tour unterhalten habe, bestätigten mir, dass auch bei Ihnen, egal ob im hohen Norden oder im Süden, der Klimawandel überall deutlich sichtbar und spürbar ist.

 

Insgesamt betrachtet sehe ich in Sachen Umweltschutz ziemlich schwarz, zum einen wegen der enormen Defizite in Sachen Umweltschutz, zum anderen wegen der ständig steigenden Überbevölkerung auf unserer Erde. Ein großer Teil der Menschheit scheint so in seiner Wachstumsspirale gefangen zu sein, um keinen klaren Blick mehr dafür zu haben, dass wir jegliche natürlichen Kreisläufe, die unsere Lebensgrundlage sind, durchbrechen. Im Jahr 2022 war der 28. Juli der Tag, an dem alle biologischen Ressourcen aufgebraucht waren. Was passiert, wenn wir so weitermachen, ist wohl klar.

 

Doch eines kann ich trotz dieser ganz und gar schlechten Situation sagen: Ich bin durch atemberaubende Landschaften gefahren, die ich immer wieder gerne sehen möchte UND wir haben es selbst in der Hand, unsere Natur zu schützen. Der beste Schutz ist in der Regel der Verzicht auf irgendetwas.

 

Die Menschen

 

9 Länder bedeutet auch, dass ich viele Menschen kennenlernen durfte, die in unterschiedlichsten Landschaften und unter unterschiedlichsten Bedingungen leben. Ich hatte viele Begegnungen mit Menschen, die mir in ewiger Erinnerung bleiben werden, und andere, die ich schon vergessen habe. ich durfte unterschiedlichste Kulturen von den Sami im hohen Norden über die Bayrische Bierseeligkeit in Bamberg bis zur "Stierkampfkultur" in Spanien erfahren. Es war immer interessant und hat mich sehr zum Nachdenken angeregt.

 

Wo es möglich war, habe ich mich intensiv mit den Menschen unterhalten, um zu erfahren wie ihre Lebensumstände sind, wie die Verhältnisse in ihren jeweiligen Ländern sind, was sie als positiv erachten, aber auch was ihre Sorgen und Nöte sind. Im Gegenzug waren die Menschen auch daran interessiert, welche Meinung ich habe, und wie die Verhältnisse in Deutschland sind. Bei der gesamtheitlichen Betrachtung all dieser Gespräche und Beobachtungen kann ich im Nachhinein festhalten, dass es quer durch Europa viele Gemeinsamkeiten, aber auch viele Unterschiede gibt.

 

Hinsichtlich der Sprachkenntnisse war es in Skandinavien, Deutschland und Österreich einfach für mich. In Skandinavien sprechen die Menschen hervorragend Englisch. Schon mit Kindern ab 8 bis 10 Jahren konnte ich mich wunderbar unterhalten, so etwa an Tag 6 - Von Masi nach Guovdageaidnu, als ich mich mit dem Sohn der Sami-Familie über seinen Jagdhund und seine Interessen unterhalten habe. Ein weiteres beeindruckendes Gespräch hatte ich an Tag 38 - Von Tolg nach Älmhult, als ich mich beim Frühstück angeregt mit Lasse über Familie, Gesellschaft und Wirtschaft unterhalten konnte. So ging es locker flockig durch Skandinavien und ich fühlte mich richtig eingebunden, manchmal wie daheim - ein schönes Gefühl.

 

Auch als Bayer oder gerade deswegen gab es in Deutschland und Österreich keine Verständigungsprobleme. Nun ja, die Schwäbische Alb nehmen wir jetzt mal aus. Im Osten ist man als Bayer irgendwie eine Attraktion, die teilweise neidisch beäugt wird. Mir haben die Leute im Osten Spaß gemacht, teilweise taten sie mir auch leid. Spaß gemacht haben mir viele, weil sie einfach locker drauf waren und einen schnippischen Galgenhumor zu vielen Dingen haben. Leid tut mir, dass der Osten an vielen Stellen nach der Wiedervereinigung Deutschlands ausgeblutet wurde, und viele Menschen sehr frustriert und abgehängt sind.

 

Vor Frankreich hatte ich regelrecht Angst. Ich habe auf meiner Schulabschlussfahrt und später nochmal in Cherbourg schlechte Erfahrung mit Deutschfeindlichkeit gemacht. Aber davon ist - Gott sei Dank - nichts mehr zu spüren. Insgesamt waren die Franzosen freundlich zu mir. Mir wurde von Frankreich-erfahrenen Leuten empfohlen, das Gespräch immer in Französisch zu beginnen und mich zu entschuldigen, dass ich kein Französisch kann. Da habe ich meine Standard-Eröffnung "Bonjour. Malheureusement, je ne parle pas français." auswendig gelernt. Das hat wunderbar funktioniert. Ab da konnte ich mich dann sehr selten in Englisch, aber immer mit meiner Übersetzungs-App mit den Leuten unterhalten. Insgesamt kam ich mir aber auf Grund der Sprachprobleme schon ziemlich isoliert vor. Teilweise haben mir die Franzosen auch offen gesagt, dass sie sich schämten, nicht besser Englisch zu sprechen. Es läge wohl am schlechten Bildungssystem. Toll unterhalten und viel über Land und Leute konnte ich an Tag 72 - Erholungstag in Digoin erfahren, als ich mich mit Stéphane unterhalten habe. Auf meiner ganzen Fahrt durch Frankreich habe ich erlebt, dass die Franzosen für mein Dafürhalten einen übertriebenen Nationalstolz haben, der manchmal ins Arrogante gesteigert ist. Ebenso habe ich erfahren, dass die Franzosen ziemlich stur sein können. Wenn sie nicht wollen, dann wollen sie eben nicht. Das ist mir beispielsweise an Tag 75 - Erholungstag in Massiac erfahren, als ich um ein frühes Frühstück bat und barsch abgelehnt wurde, und an Tag 82 - Von Cazaubon nach Saint-Paul-lès-Dax, als ich erst Punkt 15:00 Uhr mein Zimmer bekam, obwohl es schon vorher bezugsfertig war.

 

Auf dem spanischen Festland war ich noch nie unterwegs. Daher war ich sehr gespannt, was mich in Spanien alles erwarten würde. Die Sprachprobleme waren dieselben wie in Frankreich, allerdings mit dem Unterschied, dass die Spanier sich nicht so zieren, wenn jemand ihre Sprache nicht spricht. Mit Händen und Füßen und mit der Übersetzungs-App bin ich immer mit den Menschen zusammengekommen. Insgesamt finde ich es allerdings erschütternd, dass auch junge Menschen in beiden Ländern gar nicht oder nur sehr schlecht die Business-Language No. 1 sprechen. Insgesamt waren die Spanier leger und gesellig.

 

Ich bin den Menschen überall mit dem gebotenen Respekt begegnet, und bis auf ganz wenige Ausnahmen wurde mir dieser auch entgegengebracht. Insgesamt waren die Menschen von Nord nach Süd allesamt freundlich. Darüber hinaus waren die Menschen offen, wenn ich mit ihnen gesprochen habe und sehr hilfsbereit. Die große Hilfsbereitschaft durfte ich zum Beispiel an Tag 3 - Von Honningsvåg über Havøysund nach Olderfjord, als mir die beiden älteren Brüder halfen, meine Sattelstütze festzuschrauben und an Tag 8 - Erledigungstag in Hetta, als mir Matthias und Petri halfen, dieses Problem endgültig zu lösen.

 

Je weniger ein Landstrich besiedelt war und je kleiner die Unterkunft war, wie etwa Hütten auf Campingplätzen, B&Bs oder private Pensionen, umso unvergesslicher waren die Erlebnisse mit liebevollen, herzlichen, bodenständigen, ruhigen und hilfsbereiten, engagierten und interessierten Menschen. Dort bin ich am meisten und auch am intensivsten mit den Menschen ins Gespräch gekommen. Ich habe richtig gemerkt, dass der Mensch gegenüber wichtig ist und wertgeschätzt wird. Besonders in Erinnerung sind mir die Begegnungen mit Nils Ole und Anne Laila an Tag 7 - Von Guovdageaidnu nach Hetta, mit Lasse an Tag 38 - Von Tolg nach Älmhult oder mit Stéphane an Tag 71 beim Erholungstag in Digoin. Aber auch viele andere feine Menschen durfte ich kennenlernen. 

 

In den Städten wie etwas Linköping mit mehr als 100.000 Einwohnern war das naturgemäß nicht so. Ebenso war der Kontakt von Mensch zu Mensch in den kleinen privaten Unterkünften viel intensiver als in den teils durchaus sehr komfortablen größeren Hotels. An die Hektik und Aggressivität der Menschen in München kommt nichts heran.

 

Die Menschen haben eine tiefe Liebe zu den Regionen, in denen sie leben. Je ländlicher, umso mehr sind die Menschen in ihrer Heimat verwurzelt. Ich war beeindruckt, als Nils Ole mir beim Frühstück an Tag 7 - Von Guovdageaidnu nach Hetta erzählt, wie sehr er und seine Familie es lieben, zu jagen, zu fischen und ein Wochenende mit leckerem Essen in einem ihrer Sami-Zelte zu verbringen.

 

Auch wenn die Menschen tief mit den Regionen verwurzelt sind, in denen sie leben, befürworten und leben sie auch ein vereintes Europa. Gerade in diesen Zeiten ist den Menschen, die ich getroffen habe, der Zusammenhalt auf europäischer Ebene und die Wahrung unserer westlichen Kulturen äußerst wichtig. Gemeinsamkeiten, die ich immer wieder gehört habe betreffen die Themen Klimawandel, Elektromobilität, Migration und Unzufriedenheit mit der Politik.

 

Der Klimawandel wird von der Arktis bis nach Südspanien als große Bedrohung wahrgenommen, und die Menschen haben mir unterschiedliche Beispiele genannt, woran sie den Klimawandel spüren. In der Arktis taut und friert es teilweise im Winter, so dass die Rentiere ihr Futter am Boden wegen der Eisdecke nicht mehr erreichen können. Tauwetter gab es bis vor einigen Jahren nicht. In Ostdeutschland und Spanien bin ich durch Landschaften gefahren, in denen es bei der Getreideernte durch die extreme Trockenheit gestaubt hat. In Spanien haben die Menschen sich über die ausgetrockneten Flussbetten und Seen beklagt.

 

Das Thema Elektromobilität wurde sehr unterschiedlich bewertet. Die Menschen in der arktischen Region können darüber nur lachen. Wie soll Elektromobilität bei -40o C funktionieren? In ärmeren Regionen Frankreichs und Spaniens sind die Menschen froh, überhaupt ein (altes) Auto zu haben. Vielfach habe ich auch das Argument gehört, dass man die Elektromobilität auf Grund der Gewinnung der benötigten Rohstoffe und deren späterem Recycling kritisch sieht.

 

Das Thema Migration wurde eigentlich überall als Übel gesehen. In Schweden beispielsweise erzählten mir Menschen, dass eine Grenze der Belastbarkeit erreicht sei. In Tarifa haben die Menschen die klare Meinung, dass keine Migranten mehr nach Europa kommen dürfen. Entsprechend wachsam ist auch Spanien bei der Bewachung seiner Grenzen. Selbst als ich die Grenze zwischen Frankreich und Spanien überquerte, wurden gemeinsam intensive Kontrollen durchgeführt.

 

Ein großes Thema war die Unzufriedenheit mit den verantwortlichen Politikern. Die Menschen, mit denen ich über dieses Thema gesprochen habe, waren allesamt der Meinung, dass die Politiker abgehoben sind, keine Fachkompetenz haben, der Kontakt zur Bevölkerung verloren gegangen ist und rigoros den Bürgern aufdoktriert wird, wie die Dinge zu laufen haben. Bei diesem Thema konnte ich regelrecht eine große Frustration feststellen.

 

Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es natürlich auch viele unterschiedliche Lebensumstände, Probleme, Bedürfnisse, Erwartungen und Kulturen.

 

In Norwegen, Finnland und Schweden ist das Bedürfnis nach Schutz vor Russland allgegenwärtig, während sich Frankreich und Spanien sicherer fühlen, aber auch für eine gemeinsame Front gegen Russland eintreten.

 

Das Bildungsniveau ist in Skandinavien, Deutschland und Österreich vergleichsweise hoch, während das in Frankreich und Spanien stark verbesserungswürdig ist.

 

Die Menschen in Skandinavien leiden (noch) nicht an Wasserknappheit, während dies weiter im Süden ein beängstigendes Thema ist. Auch sehen die Menschen in Skandinavien sich gut mit Energie versorgt, was in Deutschland, Österreich, Frankreich und Spanien nicht der Fall ist. Die wirtschaftliche Lage ist in den einzelnen Ländern, durch die ich gefahren bin sehr unterschiedlich. Während Deutschland ein hoch industrialisiertes Exportland ist, fällt dies in den anderen Ländern nicht so sehr ins Gewicht. Das Spanien, das ich gesehen habe ist größtenteils ein Agrarland auf für unsere Verhältnisse niedrigem Niveau. 

 

Generell habe ich auf meiner Tour, was den Wohlstand angeht, ein Nord-Süd-Gefälle erlebt, wobei Wohlstand unterschiedlich zu sehen ist. Die Menschen in Skandinavien sind zum Beispiel mit ihren relativ einfachen und günstigen Holzhäusern zufrieden. Energie ist genügend da, und das Land ist so dünn besiedelt, dass es auch keine Lärmbelästigung gibt. In Deutschland werden Massivhäuser gebaut und die PS-stärksten Autos gefahren, weil es ganz offensichtlich immer noch ein wichtiges Statussymbol ist, für das man gerne viel Geld investiert. In Frankreich und Spanien gehen die Menschen für soziale Themen wie Entlohnung, Arbeitszeit oder Renten auf die Barrikaden, während das in Skandinavien fast unbekannt und in Deutschland und Österreich wesentlich moderater behandelt wird.

 

Während überall das Tierwohl ein immer wichtigeres Thema wird, ist der Stierkampf in Spanien, wenn auch inzwischen sehr konträr diskutiert, Normalität.

 

Eine Volkskrankheit konnte ich übrigens noch beobachten: Die Smartphone-Mania! Die Menschen sind Geiseln ihrer Smartphones. Ich habe sehr oft beim Essen Paare am Tisch sitzen sehen, die sich lieber mit ihrem Smartphone, als mit ihrem Partner unterhalten haben.

 

Ich habe hiermit nur Beobachtungen und Fakten aufgeführt. Bei allen Unterschieden kann ich allerdings nicht sagen, wo die Menschen mit ihren Leben am glücklichsten sind, habe aber ein ganz eindeutiges Gefühl dazu. Dort, wo die Menschen in ihren überschaubaren sozialen Gruppen leben, zum Beispiel in Dörfern und kleineren Orten, dort, wo die Menschen eng mit der Natur, in der sie leben, verbunden sind, dort, wo die Menschen ein gebührliches Auskommen haben, dort wo die Menschen in homogenen Gesellschaften sich mit ihrer Kultur identifizieren können und dort, wo die Menschen möglichst autark leben können, waren sie meiner Meinung nach am glücklichsten. Dort habe ich mich übrigens auch am wohlsten und glücklichsten gefühlt!

 

Das heißt im Umkehrschluss, dass die Menschen mir dort am unglücklichsten erschienen sind, wo sie in großen Städten leben, wo es eng und laut ist, wo die Menschen hektisch ihrem Lebensunterhalt nachgehen müssen, wo Anonymität, Identitäts- und Werteverlust vorherrschen und wo Menschen nicht richtig frei leben können.

 

So idealistisch der Wunsch auch ist, aber eine Gleichheit in ganz Europa wird es wohl nicht geben können und ist meiner Meinung nach was Identität mit Land, Sitten und Gebräuchen und Kultur angeht, auch überhaupt nicht wünschens- und erstrebenswert. Ein starker Zusammenhalt innerhalb Europas ist aber im Kontext der Globalität unbedingt erforderlich. Das betrifft vor allem Themen wie den Umweltschutz, die gemeinsame Verteidigung, Wirtschaftspolitik, Energieversorgung und Bildungsstandards.

 

Mein persönliches Resümee

 

Das Leben hält jeden Tag neue Überraschungen für uns bereit, wenn man gewohnte Wege verlässt und wir diese Überraschungen sehen wollen. Vielen Menschen, die täglich im selben Trott leben, können das leider nicht wahrnehmen. Mein Rat an alle ist, möglichst oft aktiv zu sein, Sport zu treiben, sich mit Menschen zu unterhalten, sich sozial zu engagieren und bekannte Wege zu verlassen, um Neues zu erleben. Es gibt unzählige wunderbare sinngebende und erfüllende Dinge, die jeder von uns tun kann.

 

Planung - ich plane gerne bis ins Detail - ist gut und gibt Sicherheit, aber Improvisation ist oftmals wichtig, um weiter zu kommen

 

Glücksbringer sind wichtig!

 

Ich habe die Tour zwar zum größten Teil alleine geplant und bin diese dann alleine geradelt, aber ohne Unterstützung von allen möglichen Seiten geht es nicht! Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn es Menschen gibt, auf die man sich verlassen kann und die für einen da sind, wenn man sie braucht. VIELEN DANK NOCHMALS!

 

Keine Reisereportage in den Medien kann die persönlichen Erlebnisse und Eindrücke einer solchen Reise ersetzen. Ich bin der Meinung, dass man teilweise sogar ein falsches Bild vermittelt bekommt. Nachdem ich den Reiseblog auf meiner Website täglich geschrieben habe, ist mir noch viel klarer geworden, welche Macht Medien haben, und wie sehr diese Medien, auch scheinbar seriöse, diese Macht tagtäglich missbrauchen und die Menschen manipulieren. Mir wurde klar, dass ich meine Blogeinträge so oder so gestalten könnte, und jedes Mal käme eine andere Botschaft beim Leser an. Daher eine ganz wichtige Botschaft an alle: "Glaubt nicht alles, überprüft Meldungen genau! Macht euch ein eigenes Bild durch Erfahrungen.". Wägt dann ab, wie diese Informationen für euch einzuordnen sind." Das ist wahrlich keine leichte Aufgabe.

 

Seid aktiv, tut Gutes, genießt das Leben und haltet das Rad immer schön am Laufen!

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Kommentare: 2
  • #1

    Dieter (Dienstag, 01 November 2022 10:39)

    Servus Wolfgang
    Deine Berichte und auch die persönlichen Anmerkungen gefallen mir. Hast du schonmal den Gedanken gehabt deine Reise in einem Buch zu veröffentlichen. Ist ja heutzutage relativ einfach über Amazon und Co. Zeit zu schreiben hast ja als "Rentner" jetzt auch.
    Viele Grüße
    Dieter

  • #2

    Wolfi (Freitag, 13 Januar 2023 09:42)

    Servus Dieter,
    bin dabei. Schauen wir mal, was und wie es wird.
    Liebe Grüße
    Wolfi